Als ich im Herbst 1975 die damals noch ziemlich junge
Fotozeitschrift Color Foto kaufte, war es primär, weil drin ein Bericht über
die neue Nikkormat FT2 war, und ich war seit zwei Monaten Besitzer einer Nikon
FTn.
Betont soll, dass es um einen Erfahrungsbericht handelte,
nicht um einen Testbericht. Denn der Autor, ein Mann namens Alexander Borell
schrieb weder dann, noch später Testberichte, allerdings nicht Testberichte mit
allerlei Messungen, wie wir sie heute überall in den Fotozeitschriften sehen.
Borell testete die Produkte in Praxis aus, oder sagen wir lieber, er probierte
sie aus. Er machte damit Bilder von Kirchtürmern und dergleichen, und er
beschrieb die Handhabung und sagte seine ehrliche Meinung darüber.
Über die FT2 hatte er nicht nur Gutes zu sagen. Zum
Beispiel musste, jedes Mal ein Objektiv montiert wurde, der Blendenring einmal
nach rechts und einmal nach links gedreht werden, und beim Einsetzen müsse die
Blende auf 5.6 stehen. Die Profis hatten sich daran gewöhnt, wie auch jeder
andere Nikon-Besitzer. Er fand diesen Prozedur ein bisschen lästerlich und
machte Vergleiche zum VW, wo zu lange der Motor hinten saß.
Kritische Bemerkungen sind nicht, was sich neue Verbraucher wünschen. Sie wollen bestätigt werden, dass sie die richtige Wahl
getroffen haben.
Ich auch. Ich fand, dass die Bemerkungen dieses Herrn Borells total daneben waren.
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Aber Borell hatte nicht nur über die Nikon FT2 geschrieben. Ich las auch seine weiteren Kommentare, mit denen ich weitgehend einig war. Ein Dialog mit ihm wäre auch
möglich. Man könnte ihn sogar privat anrufen, wenn man Fragen hätte.
Er muss, wie wir es in Dänemark sagen,
ein B-Mensch gewesen sein, denn neben seiner Telefonnummer stand „Bitte nicht
vor 10 Uhr morgens“. Bis spät in die Nacht wäre es ihm OK, schieb er mal.
Ich habe ihn nie
angerufen, und ich habe ihm nie Fragen gestellt, aber jahrelang las ich seine
Kommentare, seine Erfahrungsberichte, seine „übrigens...“ und seinen Dialog mit
den Lesern.
Ich lese seit Jahrzehnten viele Fotozeitschriften, aber
nur ganz selten sind mir die Namen der Autoren eingefallen, und bei diesem
Alexander Borell schon ab der ersten Nummer.
Warum?
Wie kann es sein, dass ich überhaupt, über zehn Jahre nach seinem Tod,
über einen Mann, den ich nie gekannt habe, nie begegnet bin, und mit dem ich
nie gesprochen oder Worte ausgewechselt habe, hier schreibe?
Alexander Borell schrieb sehr gut, und er schrieb anders. Es gibt kaum eine heutige Fotozeitschrift, wo man nicht
den Eindruck bekommt, ohne die ganz neue Kamera mit 50% mehr Megapixel als die
des vorigen Monats komme man gar nicht aus.
Alexander Borell war grundsätzlich der Meinung, dass es
kaum eine Kamera gebe und kaum ein Objektiv, womit man nicht gute Bilder
bekommen könnte. Und recht hatte er, finde ich.
Denken wir zum Beispiel an die Bilder des Fotografen Henri Cartier-Bresson (1908-2004). Bei vielen seiner weltberühmten Fotos spielt der
entscheidende Augenblick „the dicisive moment“ eine wesentliche Rolle.
Cartier-Bresson fotografierte stets mit einer Leica, meistens mit dem "langweiligen" 50 mm Normalobjektiv versehen und keinem Motor, weil der nicht erfunden war. Und wäre er zur Hand gewesen, hätte er ihn vermutlich nicht verwendet, so wie er auch nie mit Blitz fotografierte.
Für Landschaften setzte er, aber ganz selten, ein Weitwinkel ein. Das war die Technik von Cartier-Bresson.
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Heute haben wir Zoomobjektive und Kameras, die um die 10 Bilder pro Sekunde schaffen. Und wenn nur 8, beschweren sich die Journalisten der Fotozeitschrifen darüber. In fünf Sekunden bannen wir also um 50 Aufnahmen auf die CF-Karte, wo Cartier-Bresson mit der Leica höchstens mit drei auf den Miniaturfilm auskam.
Ich bin mir aber nicht bewusst, ich habe je ein
„modernes“ Bild mit mehr Aussagekraft gesehen, als die, die Cartier-Bresson mit seiner altmodischen Kamera vor vierzig-fünfzig-sechszig Jahren
aufgenommen hat, und wo es wirklich um den entscheidenden Augenblick galt.
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Alexander Borell war pragmatisch und hatte gleichzeitig
den Mut, an seiner Meinungen festzuhalten. Er schrieb mit dem Herzen. Er schrieb
über Fotosachen und über sich selbst, bis es auf sein Alter kam. Er schrieb von
seiner Frau und mal über seine Autos. Er war objektiv und doch nicht. Er war
anders. Positiv anders. Darum.
Es gab sein Porträt in jeder Nummer von Color Foto. Er
war kein junger Mann in 1975, Ende 40, schätzte ich damals, und mit der Zeit
kamen neue Fotos, die ihn älter zeigten. Ein paar Jahre war er weg, und ich
hörte bald damit auf, Color Foto zu kaufen, dann war er wieder da, und ich las
die Zeitschrift.
In den 1990’er Jahren, wo Fotografieren meistens synonym mit billigen und schlechten Farbbildern war, kaufte ich nur gelegentlich Color Foto,
aber jedes mal las ich, was Alexander Borell am Herzen gelegt hatte.
In Dezember 1998 kaufte ich die Nummer 1 1999, wollte über die neue Nikon F100 lesen. Da stand es, von seinem Tod: Ein Jahrgang 1913 sei er
gewesen. Zwei Tage bevor seinem 85. Geburtstag wäre er gestorben, am 31.
Oktober 1998.
So alt war er also.
In der Augustausgabe von Color Foto, die ich mir auch gekauft
hatte, war er allerdings noch aktiv, hatte über Farben geschrieben, und die
Leser konnten ihn weiterhin anrufen, wenn auch ungern vor 10 Uhr.
Bis er weit
über 84 Jahre alt war, hatte er also noch monatlich über Fotografie geschrieben und den Lesern
von Color Foto Rat gegeben.
Übrigens… schon in 1977 führte Nikon das AI-System (Automatic
Index) ein. Der Mitnehmer an den Kameras war verswunden. Der Blendenring musste nicht mehr bei jedem
Wechsel der Objektive erst nach rechts und dann nach links bis zum Anstoß
gedreht werden. Egal war auch, auf welche Blende das Objektiv eingestellt war.
Wie bei Nikon typisch konnten die alten Objektive für einen symbolischen Preis
umgebaut werden. Die meinigen wurden. Ließ man den „Gabel“ an den Objektiven
sitzen, könnten sie doch auch weiterhin mit alten Nikons und Nikkormats problemlos
zusammenarbeiten – allerdings dann noch mit einem „twist“.
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